- Krizia Köhler
Schreib dich glücklich! Journaling - Hype oder Kunst der schriftlichen Selbstreflexion?
Journaling ist in. Ist das brauchbar oder kann das weg? Nur ein hipper Begriff fürs gute alte Tagebuch? Hype oder doch die Kunst der schriftlichen Selbstreflexion? Je nach Bubble* oder Kontext hat das Journaling ein Imageproblem. Ich bin Fan. Denn wer seine Gedanken und Gefühle regelmäßig notiert, der bleibt bei sich, und das kann so richtig guttun.
Coaches, Berater*innen und Autor*innen versprechen uns, dass wir mit Journaling ein bewussteres, glücklicheres und gesünderes Leben führen können. Dick aufgetragen? Das kann sich so lesen. Es gibt allerdings wissenschaftliche Studien, die diverse positive Effekte des Journalings untermauern. Weniger Stress und innere Unruhe, mehr Fokus, endlich mehr Achtsamkeit im Alltag – wünschen wir uns das nicht alle? Ein Journal kann hier Türöffner sein.
Was steckt dahinter? Beim Journaling beschäftigen wir uns mit unserem inneren Erleben. Was beschäftigt dich? Welche Gedanken und Gefühle kreisen in deinem Kopf? Du schreibst auch über Erlebnisse, fokussierst dich aber mehr auf deine Empfindungen und darauf,
welchen Effekt sie auf dich haben. Schreibend können wir uns von innen heraus stärken. Dem Journaling geht also im Gegensatz zum klassischen Tagebuchschreiben eine klare Intention voraus – bedürfnisorientiertes Schreiben zur persönlichen Weiterentwicklung statt reines persönliches Storytelling.
Stift raus für die Innenschau!

Welche Vorteile bietet diese Art des Schreibens?
Bessere Gedächtnisleistung
Neue, positive Perspektiven
Negative Gefühle besser verarbeiten
Bessere Stimmung
Mehr Resilienz
Höhere Konzentration und bessere Organisation
Gesteigerte Leistungsfähigkeit und Produktivität
Besserer Schlaf
Mehr Kreativität
Womit könnte das zusammenhängen?
Schon allein die Tatsache, dass du dir ein paar Minuten Zeit nimmst, um einen Gedanken zu hinterfragen, verringert in der Regel das Stressempfinden.
Du lernst dich selbst besser kennen. Du hörst dir zu und lernst dabei auch, deine Gedanken weniger zu bewerten.
Bisher unterdrückte Gefühle kannst du auf eine konstruktive Weise erleben und verarbeiten.
Es entlastet, belastende Dinge aufzuschreiben und bringt mentale Klarheit.
Du lernst Achtsamkeit, indem du dich mit deinen Gedanken und Gefühlen auseinander setzt, sie beobachtest und nicht sofort reagierst.
Du schulst deinen Optimismus durch das Festhalten positiver Ereignisse.
Du schulst deine Ausdrucksfähigkeit und förderst deine Kommunikationskompetenz.
Du stärkst deine Selbstwirksamkeit: das Gefühl, selbst etwas in die Hand nehmen zu können und dein Leben bewusst zu gestalten.
Das Journal ist dein Rückzugsort zwischen zwei Buchdeckeln, ein hilfreiches Tool gegen Ängste und Sorgen (Motto: Was ich zu verstehen gelernt habe, fürchte ich nicht mehr).
Folgender Gedanke ploppt jetzt bei dir auf: Das will ich auch! Aber wie sehen die ersten Schritte aus? Welche Methoden gibt es? Es gibt so viele Varianten. Hier die sieben gängigsten Methoden:
7 Journalvarianten für deine Selbstreflexion
Morning Pages, Morgenseiten oder auch Stream of Consciousness
Die 5- oder 6-Minuten-Journal-Methode (nach dem gleichnamigen Bestseller)
Morgenseiten
Freier geht es kaum: eine leere Seite Papier schnappen und loslegen. Alles darf den Weg aufs Papier finden, ohne Grenzen, ohne Nachdenken, Absetzen, Sortieren. Es geht darum, dem eigenen Gedankenfluss Raum zu geben. Wer Startschwierigkeiten hat, startet einfach mit dem einen Wort, das spontan in den Kopf schießt. Wem eine zeitliche Begrenzung hilft: Timer stellen und los.
6-Minuten-Journal-Methode
Du stellst dir morgens drei Fragen und abends zwei Fragen, die du innerhalb von insgesamt fünf oder sechs Minuten in kurzen Sätzen oder Stichworten beantwortest.
Beispiele:
Wofür bin ich heute dankbar?
Welche drei Dinge machen meinen Tag heute zu einem herausragenden Tag?
Wie lautet meine wichtigste Aufgabe heute?
Welche zwei Dinge hätte ich heute besser machen können?
Welche drei positiven Erlebnisse fallen mir ein?
Dankbarkeitstagebuch
Du notierst, wofür du dankbar bist. Das können absolute Kleinigkeiten sein, Beobachtungen, scheinbar normalste Sachen der Welt. Die Gefühle stehen im Fokus. Wofür spürst du gerade Dankbarkeit? Diese Frage trifft es eher. Die Brigitte schreibe dazu: Wichtig ist, dass du dankbar dafür bist – wofür man dankbar sein sollte, zählt nicht.
Wer morgens mit Dankbarkeitsnotizen startet, legt sich ein Fundament für eine positive Tagesstimmung. Francis Bacon wird hier gerne zitiert: "Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind."
Beispiele gefällig?
Ich bin dankbar für …
... meinen Mann in meinem Leben.
… meine Geschwister.
... meine lieben Kolleg*innen, die mich heute unterstützt haben.
... den leckeren Kaffee aus meiner Maschine.
… Sonnenschein.
… das wunderbare Buch, das ich gerade lese.
… neue Aufträge.
… den langsamen Start in den Tag.
Erfolgstagebuch
Ein Coach als Buch? Im Grunde ist das die Methode hinter dem Erfolgstagebuch. Du machst dir schreibend deine Ziele bewusst, setzt und reflektierst sie. Es geht um mehr als Aufgabenlisten. Prioritätensetzen und langfristige Veränderungen stehen im Fokus. Studien weisen darauf hin, dass Menschen, die ihre Ziele aufschreiben und dokumentieren, höhere Chancen haben, ihre Ziele auch zu erreichen – im Vergleich zu Menschen, die nur über ihre Ziele sprechen. Ein Journal fürs Tracken der eigenen Ziele kann also zum persönlichen Erfolgsrezept werden.
Traumtagebuch
Die Methode steckt im Begriff. Wir notieren das, woran wir uns erinnern können nach dem Aufwachen. In unseren Träumen verarbeitet das Gehirn Informationen. Träume geben uns Hinweise aus dem Unterbewusstsein und das kann uns helfen, Zusammenhänge zu erkennen. Das Aufschreiben von Traumnotizen soll die Kreativität anzapfen, unser Erinnerungsvermögen schulen und sich damit auch positiv aufs Allgemeinbefinden auswirken. Angeblich kann sogar die Häufigkeit von Albträumen nachlassen, wenn wir regelmäßig Tagebuch führen.
Journaling nach Prompts
Wir haben ein Thema, eine Intention, uns liegt etwas auf dem Herzen und wir schreiben dazu beziehungsweise darüber. Mithilfe eines Journals gehen wir dem inneren Konflikt auf den Grund, gehen in die Tiefe und betrachten die Situation aus unterschiedlichen Perspektiven. Lösungsansätze entstehen beim Schreiben.
Im Internet finden wir unzählige Ideen für reflektierende Fragen, sogenannte Journal Prompts.
Beispiele:
Notiere dir alles, was dir Angst macht.
Welches Nein könnte dein Ja sein?
Welcher Fehler war dein bester Fehler?
Welche drei Eigenschaften schätzt du an dir und warum?
Wann fühlst du dich am meisten wie du selbst?
Periodisches Reflektieren
Bestandteil vieler Coachingprogramme: zu bestimmten Zeitpunkten die zurückliegenden Wochen und Monate beleuchten, zum Beispiel zum Jahreswechsel oder Geburtstag. Hier trifft Methodik auf Ritual. Der Hintergedanke bei der periodischen Reflexion ist ein anderer als beim täglichen Journaling. Wir haben hier einen längeren Zeitraum zu reflektieren und somit die Chance, mehr Selbsterkenntnis zu gewinnen. Wir lernen, indem wir unsere Vergangenheit Revue passieren lassen.
Fragen könnten folgendermaßen lauten:
Welche Erfolge konnte ich feiern?
Welche Umstände, Menschen, Momente, Erlebnisse möchte ich loslassen? Was darf in der Vergangenheit bleiben?
Worauf lege ich meinen Fokus im nächsten Jahr (oder Monat)?
Journaling war mein praktischer Einstieg in die Persönlichkeitsentwicklung. Mehr Klarheit, weniger Blaba – dank Journaling auf dem Papier und dann auch im Kopf. Das ist einer der vielen Vorteile für mich. Meine Methode: eine Mischung aus 1, 2, 3 und 7, kombiniert mit Aufgaben- und Ziellisten für mein Business.
Wo Licht ist, ist auch Schatten: kurzer Blick auf die Gefahren beim Journaling
Fast alle guten Dinge des Lebens haben auch eine Schattenseite. In der Persönlichkeitsentwicklungszene werden Dankbarkeitsjournale als Abkürzung ins Glück gehandelt. Das ist etwas kurz gedacht und kann direkt in die viel beschriebene toxische Positivität führen. Bei der Beschäftigung mit der Positiven Psychologie stoßen wir auf einen Grundsatz: Fokussiere dich auf das, was gut läuft in deinem Leben, denn dann wird es mehr. Durch Problemwälzen hat niemand je Lösungen finden können. Das ist alles sehr lösungsorientiert, kann aber den Eindruck erwecken, als dürften negative Emotionen wie Wut, Schmerz, Traurigkeit, Enttäuschung oder Angst gar nicht mehr sein, als müssten die wegoptimiert werden. Dabei ist es doch so: Auch dunkle Momente gehören zum Leben dazu, ebenso wie das gesamte Spektrum an Gefühlen eine Berechtigung hat.
Beim wirkungsvollen Journaling geht es aus meiner Sicht darum, einen achtsamen Dialog mit sich selbst zu starten. Alle Gefühle sind wichtig. Wir geben Ihnen beim Schreiben Raum und Aufmerksamkeit, denn sie bleiben im Unterbewusstsein und kehren zurück, wenn wir nicht hinhören und -fühlen. Mit rationalem Abstand können wir dann einordnen und gegebenenfalls loslassen. Dabei hilft das Journal – welche Methode oder Kombination es uns auch immer angetan hat.
Noch Fragen? Einsprüche? Du möchtest Erfahrungen oder Empfehlungen teilen? Mein Kommentarfeld steht dir offen.
Inspirationen stammen aus:
*«filter bubble» oder auch «Informationsblase» ist seit 2011 ein medienwissenschaftlicher Begriff zur Bezeichnung von algorithmisch gelenkten Informationsflüssen, die auf tatsächliche oder vermeintliche Interessen von Nutzer*innen zugeschnitten sind. Beispiel für den sogenannten Bubble-Effekt: Ein Umweltschützer und ein Börsenmakler tippen in einer Suchmaschine den Namen einer Erdölfirma ein; der eine erhält Hinweise auf Demonstrationen, der andere Meldungen der Börsenkurse.